Eine Lavie-Idee erobert die LBGTQ-Szene

Sebastian Peetz (links) ist voll des Lobes, wenn er über die Idee von Alex Kaupert (Mitte) und Skyler Radsack spricht. Das agile Lavie-Duo hat Pronomen-Buttons erfunden und fertigt sie auf einer Maschine der gGmbH. Foto: Regio-Press

Eine Lavie-Idee erobert die LBGTQ-Szene

Pronomen-Button schaffen in Königslutter klare Verhältnisse – darüber freuen sich Betroffene und ihre Gesprächspartner.

 

Von Frank Wöstmann

Königslutter. Die Zeiten, in denen Menschen sich nur in zwei Geschlechter einteilen ließen, sind lange vorbei. Mittlerweile kann wohl jeder aus dem Stehgreif ein halbes Dutzend weiterer Begriffe nennen. Experten sehen gar noch mehr und verweisen auf die „Liste der 72“ (siehe lgbt.fandom.com/de/wiki/Geschlechtsidentitäten). Kein Wunder, dass die Situation unübersichtlich geworden ist. Da tritt ein Lavie-Duo mit einem interessanten Vorschlag auf den Plan.

Der Anstoß war denkbar harmlos: „Wir haben in unserer Lavie-Werkstatt eine Button-Maschine gefunden“, erzählt Alex Kaupert. Schnell war die Idee geboren, für den eigenen Bereich Anstecker herzustellen, die Auskunft geben über das passende Pronomen, mit dem der Träger oder die Trägerin angesprochen werden will. Denn Alex Kaupert gehört ebenso wie Skyler Radsack zur LBGTQ-Community. „Mittlerweile ist das ein großes Projekt geworden. Für Lavie und sogar über das Projekt hinaus – darüber freuen wir uns sehr.“

Das sieht Sebastian Peetz genauso. Der diplomierte Sozialarbeiter und Sozialpädagoge arbeitet seit 15 Jahren als Reha-Begleiter und seit zwei Jahren im Betrieblichen Gesundheitsmanagement von Lavie. Er hat seit einiger Zeit eine zunehmende Zahl von Menschen registriert, die sich als queer definieren. „Es passt gut zu unserem Themenjahr, dass wir uns jetzt professioneller mit diesen trans-identen Personen auseinandersetzen – und zwar in allen Maßnahmen, die wir hier bei Lavie anbieten.“

Ein Baustein dieser Auseinandersetzung sind jetzt also die Buttons. Denn über Kleidung oder andere Accessoires auf das empfundene Geschlecht des Gegenübers zu schließen, ist nicht mehr möglich. Nach Aussage des Duos Kaupert/Radsack, die beiden sind 19 und 21 Jahre alt, reagieren Betroffene zwar nachsichtig, wenn sie falsch angesprochen werden. „Wir sehen ja auch die Schwierigkeiten, und das Thema ist für weite Teile der Bevölkerung ja auch völlig neu“, sagt Alex. Und doch entstehe ein unschönes Gefühl, wenn das Gegenüber ein falsches Pronomen benutze – gerade wenn die Situation schon geklärt worden sei: „Das ist, als würde man einen nassen Waschlappen ins Gesicht kriegen.“

Durch die Buttons sei die Lage nun entspannter, schildert Skyler: „Wir beheben Unsicherheiten auf beiden Seiten des Gespächs. Es gibt einfach keine langen Diskussionen mehr.“ Obwohl sich hinter Begriffen wie Dey/Deren und Xier/Xieser (Experten sprechen von ,Neopronomen‘) fast schon eine eigene Grammatik verbirgt, kämen auch binäre Kreise leicht damit zurecht. „Vor allem junge Menschen lernen das ganz schnell, sobald sie sich damit beschäftigen.“

Das bestätigt Sebastian Peetz, der sich vor allem darüber freut, dass in diesem Fall schon eine Lösung gefunden wurde für ein Problem, das sich gerade erst entwickelte. „Wir haben großes Interesse unter unseren Teilnehmenden festgestellt und wollen künftig weiter über die Situation aufklären.“ Alle Neulinge bei Lavie würden künftig auf die Buttons hingewiesen. „Es hat sich auf diese Weise eine große Neugier auf das Thema ergeben, und alle entwickeln eine Sensibilisierung für das Thema – die Buttons sind eine Möglichkeit, auf schöne Art eine Lücke zu schließen und Diskriminierung zu vermeiden.“

Übrigens steht der LGBTQ-Community jetzt gerade wieder der „Pride-Month“ bevor: Im Juni finden besonders viele Veranstaltungen und Gedenktage statt (zB. Christopher-Street-Day). „Da interessiert das Thema besonders viele Menschen“, sagt das Lavie-Duo – sieht aber auch die andere Seite der Medaille und nennt diese den ,Regenbogen-Kapitalismus‘: „Die Szene und ihre Aktionen sind zum Teil schon ziemlich kommerzialisiert. Uns wäre es lieber, Interesse und Verständnis für das Thema würden sich verstetigen.“

In Königslutter sind sie da schon auf einem guten Weg. „Die Gesellschaft ist in Bewegung, und die Buttons sorgen für Breitenwirkung und Sichtbarkeit, die wir so noch nicht hatten“, lobt Sebastian Peetz. Ganz nebenbei freut er sich auch darüber, dass für dieses Projekt so gut wie keine Kosten entstehen. Die Buttons werden zum Selbstkostenpreis gefertigt und sind in verschiedenen Designs für 50 Cent in der Cafeteria zu haben. Im Mittelpunkt aber stehen natürlich die Inhalte. „Sprachliche Vielfalt und Akzeptanz sind in unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung“, betont der 41-Jährige. Zumal die Gesellschaft immer diverser werde: „Die Zahl der trans-identen Menschen wächst – bei Lavie und darüber hinaus.“

Hintergrund

Zum Hintergrund lohnt ein Blick ins Internet (news.at): „Das Wort Gender wurde aus dem Englischen ins Deutsche überführt. Im Englischen existieren zwei Wörter für Geschlecht: sex bezieht sich auf das biologische Geschlecht (Geschlechtsorgane, Chromosomen, Keimdrüsen etc.), gender auf das soziale, gelebte und gefühlte Geschlecht (Verhalten, Kleidung, Aussehen, Normen, Vorlieben etc.). Da sich das deutsche Wort „Geschlecht“ im Alltagsgebrauch fast ausschließlich auf das biologische Geschlecht bezieht und kein Wort für soziales Geschlecht existiert, wurde Laufe der 1970er das Wort Gender aus dem Englischen importiert. Ausschlaggebend dafür war, dass sich Laufe des 20. Jahrhunderts mehr und mehr die Vorstellung durchsetzte, dass es mehr als nur ‚Mann‘ und ‚Frau‘ gibt, und dass biologisches und soziales Geschlecht nicht zwingend einander entsprechen müssen. Das heißt, aus bestimmten biologischen Merkmalen (zum Beispiel Geschlechtsorganen, Hormonen, Keimdrüsen, Chromosomen, Körperbehaarung etc.) lässt sich kein für ein bestimmtes Geschlecht ‚typisches‘ Verhalten ableiten.“

Mai 17, 2024