„Europass“ für Nikos Drescher
Heidi Kluth, Vizepräsidentin der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade (links), überreichte Nikos Drescher auf großer Bühne in Lüneburg den ,Europass‘. Foto: Studio Heidelberg/Lüneburg
„Europass“ für Nikos Drescher
Ein Auslandspraktikum kann den Blick öffnen und stark machen. Lavie sucht weitere Teilnehmer.
Von Frank Wöstmann
Königslutter Es ist nie ganz leicht, über seinen Schatten zu springen. Raus aus der Komfortzone, neue Wege in unbekanntes Terrain – das ist nicht jedermanns Sache. Und so hat sich die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade eine besondere Ehrung ausgedacht für jene Lehrlinge, die einen solchen Schritt trotzdem gehen: Auf großer Bühne erhält einen „Europass“, wer während seiner Ausbildung ein Auslandspraktikum absolviert. Diesmal war auch ein junger Mann aus Königslutter dabei.
Nikos Drescher macht bei der Lavie Reha gGmbH eine Tischler-Lehre. Die 1995 gegründete Gesellschaft kümmert sich vor allem um Jugendliche und junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen. „Seit 2018 bieten wir im Rahmen des Erasmus-Programms auch Auslandspraktika an“, erzählt Jasmin Blume vom Fachbereich berufliche Inklusion. Insgesamt 73 Auszubildende arbeiten derzeit an den Lavie-Standorten Königslutter und Braunschweig. „Jedes Jahr entscheiden sich ein oder zwei für den mehrwöchigen Einsatz im Ausland.“
Der ursprüngliche Impuls kam dabei von der Handwerkskammer. „Inzwischen hat sich das aber prima eingespielt“, sagt Thomas Eichhorn vom Lavie-Team Ausbildung. „Wir kooperieren im EU-Ausland mit den Bildungsträgern vor Ort.“ Die Erasmus-Gäste sind in Wohngemeinschaften untergebracht, es gibt aber auch Gruppenangebote, deren Teilnehmer bei Familien wohnen. Und das Beste: Die Wochen im Ausland sind für die Auszubildenden komplett kostenlos.
Dafür nehmen die Gäste aber eine Menge mit von ihrer Zeit in Holland, Italien, Spanien oder Frankreich. „Alle sind an den Herausforderungen im Ausland gewachsen“, versichern die Sozial-Pädagogen Blume und Eichhorn. „Und zwar persönlich und fachlich.“ Das gehe schon bei der Entscheidung für den Trip los. „Das sind schon große Hemmnisse, in einem fremden Land zu arbeiten“, sagt Jasmin Blume. „Die Sprachbarriere, andere Kultur, andere Abläufe in den Firmen.“
Bei den Lavie-Schützlingen komme im Zweifel noch die psychische Belastung hinzu. „Jeder bei uns hat ja seine persönliche Krankheitsgeschichte, die ihn mehr oder weniger stark daran hindert, das gewohnte Gebiet zu verlassen.“ Ohne Eigeninitiative und innere Überzeugung geht das gar nicht“, glaubt die Praktikums-Vermittlerin. Gleichwohl weiß sie aus Gesprächen mit denen, die dabei waren: „Es war eine einmalige Erfahrung für sie – und darum würde ich mir wünschen, dass sich noch mehr von unseren Teilnehmern und Teilnehmerinnen dafür entscheiden würden.“
Diesen positiven Eindruck bestätigt Nikos Drescher, der drei Wochen in Bergen op Zoom (Niederlande) verbrachte. „Die Zeit hat mich gefordert, weil ich Arbeitszeiten und Anfahrten selbst organisieren musste. Doch mit Englisch bin ich ganz gut durchgekommen und glaube, dass ich dadurch selbständiger und selbstbewusster geworden bin.“
Der Auslandsaufenthalt habe den 25-Jährigen sehr gestärkt. „Die Vorbereitung in Sprach- und Länderkunde war dafür ganz wichtig.“ Sein Interesse am Ausland sei schon vorher da gewesen, jetzt aber nochmal gewachsen. „Ich habe in Bergen unheimlich nette Leute kennengelernt.“
Die Entwicklung der Persönlichkeit stellte auch Heidi Kluth bei ihrer Laudatio heraus: „Ein Berufspraktikum im Ausland ist ein wertvoller Baustein im Lebenslauf“, sagte die Vizepräsidentin. Die Fähigkeit, in einem internationalen Umfeld zu arbeiten, sei in einer globalisierten Welt von unschätzbarem Wert. „Ich möchte Sie ermutigen, diese gewonnenen Erfahrungen als Sprungbrett für weitere berufliche Herausforderungen zu nutzen.“
Außerdem würdigte sie die Bereitschaft der Betriebe, ihren Auszubildenden eine solche Erfahrung ermöglicht zu haben. Und Kluth appellierte an die Firmen, solche Projekte weiterhin zu unterstützen. Dafür will sich auch Jasmin Blume stark machen, die schon mal einen französischen Gast bei Lavie in Königslutter hatte. „Wir werden sicher auch in Zukunft dafür werben, dass unsere Teilnehmenden durch ein Auslandspraktikum mal über den Tellerrand schauen – und damit auch ein kleines Abenteuer erleben.“